1896 Geburt in Zürich als Sohn eines Importkaufmanns 1919 Le Havre (Ausbildung im
Kaffee-Importgeschäft 1932 geschäftlicher Zusammenbruch 1935 »Entfesselung«
1938 »Riedland« 1949 »Wir waren unser vier« 1952-55 »Alles in allem« 1959 »Sandkorn für
Sandkorn« 1962 »Die frühen Jahre« 1964 »Salz des Meeres, Salz der Tränen«
1973 »Gerufen und nicht gerufen« 1981-84 »Einmal nur« (Tagebücher) 1983 Tod in
Zürich
Guggenheim im Jahr 1948 Foto Huber Verlag
Aus dem Roman ALLES IN ALLEM (1955)
»Karl befand sich auf der Suche nach seinem Dissertationsthema. Nachdem er eine Zeitlang mit der
Jurisprudenz angebändelt hatte, vom freien und heinweisenden Vortrag eines Baldinger begeistert,
und gleichzeitig mit der Nationalökonomie, war er unmerklich über die Rechtsgeschichte und die
Geschichte der wirtschaftlichen Systeme zur Geschichte schlechthin zurückgekommen. Es hatte
dieses Abgleiten von einem geplanten Weg einige verwirrung in ihm angerichtet. Es kam ihm
manchmal ein wenig unheimlich vor, dieses Walten und Wählen eines »Es«, das über die scheinbaren
Einsichten und Entscheidungen eines »Ich« hinweg unvorhergesehene und überraschende Entschlüsse traf.
Es machte ihn misstrauisch. Es fügte sich nicht ein in das System unbeirrbarer Strebsamkeit
der Lebensgestaltung, das er sich in der Tschulokzeit nach der Ordnung seiner zivilen Verhältnisse
zurechtgelegt hatte. Er begann die Abenteuerlichkeit zu spüren, die in den geisten Räumen
herrscht, jene Ballungen, Wirbel und Ströme, den Sog und Schub, das Gefälle und den Auftrieb in der
Nachbarschaft elektrischer Zyklonen, einem meteorologischen Geschehen gleich, das nicht
vorausgesagt werden kann, weil die Gesetze, denen es gehorcht, noch nicht entwirrt sind.
Sie waren über ungeheuren dunklen Ozeanen beheimatet, über den weiten unerforschten Gebieten
der menschlichen Seele. Dort wurde das Schicksal gebraut. Offensichtlich aber wurde ihr Walten
erst in den seltsamen Entschlüssen bemerkbar, die wir scheinbar ohne Überlegung treffen.«
Guggenheim im Jahr 1955 Foto Huber Verlag
Foto Hanser Verlag
Elias Canetti
Lebensdaten:
1905 Geburt in Rustschuk an der Donau in Bulgarien 1911 in Manchester 1913 in Wien 1914
Schule in Zürich ab 1921 in Frankfurt ab 1924 in Wien (Studium der Chemie) 1932
»Die Hochzeit« 1935 »Die Blendung« (geschrieben 1930) 1938 London 1960 »Masse und
Macht« 1977 »Die gerettere Zunge« 1980 »Die Fackel im Ohr« 1985 »Das Augenspiel« 1994
gestorben in Zürich
Aus den AUFZEICHNUNGEN 1973-1984
»Die Abneigung gegen Systeme entspringt einem Gefühl des Verlusts. Immer geht etwas verloren,
wenn ein System sich schließt. Was es abstößt, erweist sich später oft als das Wichtigste. Die
Handlichkeit des Systems wird zu teuer erkauft. Auch passen sich die Dinge den Schachteln an, in die
sie gezwängt werden und verlieren dabei ihre Form. Noch wichtiger ist, dass sie als Teil des
Systems ihre Wandlungsfähigkeit verlieren. Sie zeugen nicht mehr, sie sind entmannt. Sie sind nur
noch für immergleiche Vervielfältigungen geeignet. Das System ist es, das die Form unserer Produktion
bestimmt hat. Die Dinge, die als unbhängige Worte noch Leben enthalten, sind zu Gegenständen
geworden. Sie atmen nicht, sie sterben nicht, sie zerbrechen.«
Foto S. Fischer Verlag
Golo Mann
Lebensdaten:
1909 Geburt in München 1924 Schule in Salem 1929 Studium in Heidelberg 1933
Emigration 1934 Frankreich (Studium und Schuldienst) 1939 Zürich, Zeitschrift
»Maß und Wert« 1940 USA (Armeedienst und UniversitŠtslehrer) 1946 »Friedrich Gentz«
1954 »Vom Geist Amerikas« 1959 Deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert 1971
Wallenstein 1986 »Eine Jugend in Deutschland« 1994 Tod in Kilchberg 1999
postum »Lehrjahre in Frankreich«
Aus LEHRJAHRE IN FRANKREICH
So endet für mich, zunächst, diese Geschichte. Ich sah in der Schweiz, was eine wissende,
einsatzbereite Gemeinschaft ist. Ich sah in Frankreich, was eine durch Verkettungen widriger
Umstände, durch Verirrungen des Denkens, durch Unwissenheit, durch Leichtsinn, durch böses
Gewissen paralysierte Gemeinschaft ist. Die objektive Geschichte der französischen Niederlage
wird erst in zwanzig Jahren erzählt werden können: Dann wird genug Distanz sein, um klar zu
sehen oder zu vereinfachen und zu vergröbern...